Mittwoch, 15.05.2024
Endlich, nach vielen Überlegungen und Gesprächen wird es wahr. Wir wagen es nach 5 Jahren, wieder das nördliche Ostpreußen zu besuchen.
Eine kleine Reisegruppe von 4 Teilnehmern, aus verschiedenen Teilen Deutschlands kommend, konnte es kaum glauben, an diesem wunderschönen 15. Mai Richtung Ostpreußen unterwegs zu sein. Nach dem letzten Zustieg in Potsdam ging es mit dem PKW nur noch Richtung Osten. Die erste Übernachtung war in Frauenburg im Hotel „Kopernikus“ mit Blick auf den Frauenburger Dom. Es war windig, aber ein Spaziergang nach dem Abendessen war nach diesen 1206 km, von München aus gerechnet, an diesem Tage sehr wohltuend. Für einen Großstädter war die Ruhe, welche man in dieser Nacht hatte und welche die Reisenden mit offenen Fenstern schlafen ließ, sehr erholsam.
Donnerstag, 16.05.2024
Das Ziel war, so schnell wie möglich den Grenzübergang Heiligenbeil I zu passieren und Richtung Tilsit zu fahren. Doch wie sich herausstellte, war dieser Grenzübergang geschlossen. Ein sehr freundlicher, russischer Grenzbeamter machte uns darauf aufmerksam, dass diese Grenze schon seit 4 Jahren geschlossen sei und wir zum Grenzübergang Heiligenbeil II weiterfahren sollten. Irgendwie stand dies im Netz ganz anders. Das Navi zeigte noch an und führte uns auf nicht uninteressanten Nebenwegen zum genannten Grenzübergang.
Die routinierten und sehr genauen Kontrollen der polnischen und russischen Grenzbeamten waren an diesem Tag nach 2 ½ Stunden erledigt. Nun, es gibt genügend Berichte, nach denen sich die Beamten und Beamtinnen mehr Zeit dafür nehmen, denn die Genauigkeit durfte ja nicht darunter leiden. Ein Reiseteilnehmer sprach fließend russisch und polnisch, so hatten wir anderen keinerlei Stress. Man tat ruhig wie geheißen und beobachtete die Situation. Verwundert waren wir als erstes über die vielen deutschen Autokennzeichen an den anderen Fahrzeugen. Es stellte sich dann heraus, dass es sich in vielen Fällen um Russlanddeutsche handelte, welche mit viel Gepäck in den Urlaub fuhren.
Nachdem die erste große Hürde gemeistert war, ging es mit der besten Stimmung in Richtung Heiligenbeil. Geldwechseln war angesagt. Alles musste in bar bezahlt werden, da die deutschen Kreditkarten nirgends mehr angenommen werden. Vor den Sanktionen war es schon eine Erleichterung, nicht darüber nachdenken zu müssen, wie viel Geld man benötigt. Denn mit der Karte war es immer möglich, schnell an Rubelchen zu kommen. Die erste Bank war keine Wechselbank. Bei der zweiten stand eine Schlange bis nach draußen. Viele wollten zum Geldautomaten, aber was die Russen alle an den drei Schaltern wollten, war schon sehr seltsam. Alle hatten irgendwelche Papiere mit dabei, die sehr ähnlich waren (Rentenauszahlung?).
Wir warteten geduldig ca. 1 Stunde, dann konnte jeder das Maximum von 450 Euro wechseln. Die Fahrt konnte jetzt richtig losgehen.
Burg Balga
Die Ordensburg Balga war das erste Ziel. Einst die Hauptburg der Region für die Ordensritter im 13. Jahrhundert, ist sie heute leider eine Burgruine. Wieder hatten wir ein wenig Glück, denn den Eintritt dafür hätten wir online buchen sollen, was aber der Herr, welcher alles beaufsichtigte, nicht so genau genommen hat.
Burg Balga heute
Die Größe der Burganlage so nahe am Haff hat uns schon sehr beeindruckt. Das Gelände machte einen gepflegten Eindruck. Wieder zurück aus der Zeit der Ordensritter wurde von den Ostpreußenkundigen eingehend die Karte studiert und eine gute Route ausfindig gemacht.
Reiseroute bestimmen
Nach einem Tankstopp in Ludwigsort, hier macht das Tanken noch Freude (0,66 €/l Diesel), erreichten wir die von Markgraf Otto III von Brandenburg errichtete Burg gleichen Namens. Diese Burg war zur Unterstützung der Ordensburg Balga an der Frischingmündung ins Frische Haff gebaut worden und ermöglichte den Bau eines Hafens.
Burg Brandenburg
Auch diente die Ordensburg Brandenburg, anstelle der nahestehenden Lenzenburg, als Verbindung zwischen Balga und Königsberg. Laut der Chronik von Peter von Dusburg (Chronist des Ritterordens), waren dies zur damaligen Zeit, sehr wichtige Gesichtspunkte.
Südosttangente
Die Fahrt ging weiter über die Südosttangente um Königsberg, Neuhausen und Legitten nach Labiau.
Wasserburg Labiau
Die Ordensburg Labiau, drei Meter über dem Meeresspiegel und etwa 40 km nordöstlich von Königsberg an der Deime gelegen, wurde im 14. Jahrhundert zum Schutz Königsbergs vor Feinden angelegt, welche sich über das Haff näherten. 1352 wurde die Burg aus Stein als Komturei, als vierflügelige Wasserburg errichtet, welche als uneinnehmbar galt. 1550 bewohnte Anna Maria, die zweite Frau Herzog Albrechts die Burg und 1656 wurde der Vertrag von Labiau zwischen Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Herzog von Preußen und König Karl Gustav X von Schweden geschlossen, in dem Preußen das Lehensverhältnis zu Schweden ablegen konnte. Die volle Souveränität von Polen erlangte Preußen dann im Jahre 1657 durch den Vertrag von Wehlau. Also wieder große Geschichte. 1965 brannte die Burg aus, die Flügel trug man bis auf zwei Stockwerke ab.
Ordensburg Labiau
Nach Besichtigung des Hafens ging es zum Gutshaus Adlig Paddeim in Laukischken. 1258 erstmals als Fliehburg aus pruzzischer Zeit erwähnt, hat auch dieses Gebäude eine bewegte Geschichte, von einer Ordensburg (1327) zum Jagdschlösschen und 1913 zum neuerbauten Haus Bieberstein.
Haus Bieberstein – Gutshaus Adlig Paddeim
Heute ist das Gebäude, welches im Zweiten Weltkriege beschädigt wurde, eine Schule. Dies erklärt auch den sehr guten und gepflegten Zustand des Gebäudes. Eine Tafel mit Bildern vor der Einfahrt weist auf den letzten deutschen Besitzer des Hauses, Ludwig Meyländer genannt Rogalla von Bieberstein, und das Ännchen von Tharau hin. Wir suchten das Pfarrhaus, in welchem die als Ännchen von Tharau besungene Anna Neander von 1641 bis 1676 als Frau von 3 Pfarrern, welche wie bekannt vor ihr in die Ewigkeit abgerufen wurden, gelebt hatte. Auch ihr jüngster Sohn war 19 Jahre Pfarrer in Laukischken, wobei er in demselben Haus wie einst seine Mutter wohnte. Dieses Pfarrhaus wurde später zur dreiklassigen Dorfschule und von 1927 bis 1945 das Wohnhaus für den letzten deutschen Schulleiter Paul Drabe. 1993 wurde das einstige Pfarr- und dann Schulhaus abgerissen. So konnten wir nur in unserer Phantasie dieses Gebäude wiedererstehen lassen.
Die Weiterfahrt ging mit gemischten Gefühlen nach Groß Baum zu dem gut erhaltenen Forstamtsgebäude Neu Sternberg (Groß Baum), heute ein Hotel.
Neu Sternberg (Groß Baum)
Da wir in diesem Hotel schon oft übernachtet hatten, waren wir sehr gespannt, was sich in den letzten 5 Jahren dort vielleicht verändert haben mochte. Ein freundlicher Wächter erzählte, dass es auch weiterhin ein gut laufender Hotelbetrieb sei. Leider konnten wir das Gebäude nur von außen begutachten.
Ein absolutes „Muss“ war es danach noch bei der Försterei Reußwalde vorbeizuschauen.
Försterei Reußwalde
Viele Teilnehmer vorausgegangener Reisen haben dort schon Führungen erhalten, da das Forsthaus heute als Jagdhaus einer russischen Jagdgesellschaft weitergeführt wird. Aufregend war es für uns, auf der von einer Lindenallee bestandenen alten Pflasterstraße zum Forsthaus zu gehen. Bedauerlicherweise war niemand zu Hause, so dass aus Höflichkeit das Gelände von uns Vieren nicht betreten wurde.

Försterei Reußwalde – Lindenallee und Pflasterstraße
In den fünf Tagen der Rundfahrt vom nördlichen Ostpreußen, hatten wir insgesamt 12 Forsthäuser (Ruinen) aufgesucht, für heute wollten wir nur noch nach Groß Skaisgirren (Kreuzingen). Auch ein allemal oft besuchter Ort von Reisegruppen.
Gleich neben der einstigen ev. Kirche, die heute von der russisch-orthodoxen Gemeinde genutzt wird, gibt es eine kleine Bäckerei, die wir von vorherigen Reisen kannten. Die hervorragenden Hefestückchen ließen wir uns nicht entgehen. Das Ortsbild wirkt traurig und verlassen, wenn man bedenkt, dass in Kreuzingen der größte Ferkelmarkt von Preußen war. Der 1938 eingedeutschte Name – Kreuzingen leitet sich von den 6 Chausseen ab, welche sich hier treffen. Durch diese gute Verkehrsanbindung entwickelte sich dieser Ort, in welchem 1807 im dortigen Pfarrhause Napoleon genächtigt haben soll, zum größten Marktflecken des Kreises Elchniederung und dem größten Wochenmarkt von Ostpreußen. Heute ist nur noch das überdimensionierte sowjetische Kriegerdenkmal imposant, welches wir von dem großen Parkplatz aus betrachten konnten.
Kriegerdenkmal in Groß Skaisgirren
Zu vorgerückter Abendstunde erreichten wir endlich in Tilsit das Hotel Rossija, und hier konnten unsere Koffer für die nächsten 3 Nächte im Hotel bleiben, da ab jetzt von Tilsit aus Tagestouren geplant waren.
Elch gegenüber vom Hotel Rossija
Das Hotel wurde in den letzten Jahren erfreulich gut renoviert, was der gegenüber dem Hotel stehende Tilsiter Elch sehr gut beobachten konnte. Schade, dass das Restaurant noch nicht wiedereröffnet war.
Freitag, 17.05.2024
Wer in den letzten Jahren öfters in das Königsberger Gebiet fahren konnte, hat eine stetige, ganz leichte Verbesserung an den Bauwerken und Straßen feststellen können. Aber die letzten 5 Jahre ist wohl etwas mehr passiert. Als wir die Deutsche Straße noch am Abend zuvor entlang gebummelt sind, fiel uns das schon auf. Sauber war es immer, aber jetzt sind doch schon mehr Renovierungen und auch Neubauten zu sehen. Auch Blumenarrangements vor den zahlreich aufgestellten Holzsitzbänken sind zu sehen, und das Graue sowie Düstere der letzten Jahre wirkte etwas lebendiger und farbiger. Die Deutsche Straße ist Fußgängerzone und am Abend von vielen jungen Menschen gut besucht.
Blick über die Memel nach Übermemel
Jetzt am Morgen, bei strahlendem Sonnenschein, zeigte sich Tilsit von der schönsten Seite und wir genossen den Blick an der Memel und freuten uns, dass endlich auch der einst nicht ungefährliche Anlegekai neugestaltet wurde.
Anlegekai an der Memel in Tilsit
Wir fuhren weiter Richtung Ragnit, vorbei am neu erbauten, hoch modernen und bisher nie benutzten „neuen Grenzübergang“ über die Memel nach Litauen, welcher die Luisenbrücke als Grenzübergang entlasten sollte.
Luisenbrücke in Tilsit
Ruine Burg Ragnit
Erster Halt war die Ruine der Burg Ragnit. Die gesamte Anlage war einst sehr imposant und man bemüht sich jetzt, mit sehr umfangreichen Rekonstruktionsmaßnahmen die Burg wieder aufzubauen. Leider konnten wir den Innenbereich nicht betreten, da hierfür eine vorherige, telefonische Anmeldung für eine Führung notwendig ist. Investoren planen in der Ordensburg ein privates Museum für die Geschichte der Ordensritter zu eröffnen. Ein endgültiges Nutzungskonzept steht noch aus.
Käserei / Tilsiter Käse
Nebenan ist die Käserei für Tilsiter Käse. Nach Käse war uns am frühen Morgen nicht zumute und wir fuhren weiter nach Anmemel.
Anmemel, Ortsteil von Untereißeln
Diese Örtlichkeit, die früher ein Ortsteil von Untereißeln war, liegt direkt an der Memel, zu deutscher Zeit ein bedeutender Fremdenverkehrsort mit einer Fähre und einer Dampferanlegestelle.
Fährdienst in Untereißel
Heute liegen die Häuser im Sperrgebiet, denn im Memelfluß verläuft die Grenze zu Litauen.
Blick über die Memel in Anmemel
Nach einer entspannten Kaffeepause mit Blick auf die Memel fuhren wir weiter Richtung Jugendherberge und kamen an eine sehr neue, uns unbekannte Tourismusanlage, die den heutigen Urlaubsansprüchen sehr entgegenkommt.
Sehr sehenswert war danach unser Besuch bei Juri Uzercov in Kraupischken (Breitenstein), welcher ein sehr bemerkenswertes kleines privates Museum in all den letzten Jahren aufgebaut hat. Er hat viele Kontakte nach Deutschland und freute sich nun sehr, endlich wieder deutschen Besuch in seinem kleinen Museum zu haben.
Museum Juri Uzercov
Mittagessen gab es dann bei Alla Zhukova in Szillen (Schillen). Sie hat eine kleine Oase aus Ihrem Haus gemacht und viele deutsche Besucher waren in früheren Jahren bei ihr zu Gast gewesen.
Bei Alla Zhukova in Schillen
Wieder zurück in Tilsit, wurden wir von Alik Mikschta nach Heinrichswalde abgeholt. Auch hier konnten wir alte Bekannte in freundschaftlicher Atmosphäre treffen. Heinrichswalde hat sich zum Positiven verändert.
Schwimmbad in Heinrichswalde
Das Freibad wurde renoviert, und ein paar Tage zuvor soll auch noch Wasser im Becken gewesen
sein, da Wettbewerbe auszutragen waren. Der heutige Anblick war kein Vergleich zu dem Jammerbild von 2014, wo es eigentlich eine Kloake war.
Heilquelle beim Schwimmbad in Heinrichswalde
Und eine Heilquelle am Ende des Schwimmbeckens lädt zum Trinken ein. Das Wasser schmeckt
gut, und wenn man weiß, dass das Wasser in Heinrichswalde sonst sehr schwefelhaltig ist, ist es eine angenehme Überraschung.
Elch aus Hufeisen
Neben dem Schwimmbad wurden zwei E-Ladestationen eingerichtet. Sowohl wir als auch die Menschen vor Ort fragen sich, wer diese Ladestationen in Anspruch nehmen will. Ach ja, es gab Fördermittel, … das kennen wir auch aus Deutschland. Auch Alik, der Schöpfer der Hufeisenelche und unser heutiger Gastgeber konnte darüber nur schmunzeln.
Kirche Heinrichswalde
Sehr gerne hätten wir die in Restaurierung begriffene ehemals ev. Kirche besucht, aber ein Bauzaun verwehrte uns den Zutritt. Die Uhr am Kirchturm ist neu und eine Orgel, bereitgestellt von der Kreisgemeinschaft Elchniederung, wartet auf ihren Aufbau. Doch bis es soweit ist, wird der weitere Innenausbau noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Samstag 18.05.2024
Heute brachte uns Alik mit seinem Fahrzeug mit einem russischen Kennzeichen in das Sperrgebiet nördlich der Gilge über Kaukehmen (Kuckerneese), wo gerade die Kirche renoviert (Dach) wird, zum Jagdhaus Pait.
Kirche Kaukehmen
Das ehemals kaiserliche Jagdhaus wird von einem russischen Investor für viel Geld restauriert. Äußerlich macht das Gebäude wieder einen sehr guten Eindruck, der Innenausbau befindet sich noch im Rohbaustadium. Auch die Nebengebäude, in welchen man bereits wieder Urlaub verbringen könnte, konnten wir mit dem angestellten Mitarbeiter besichtigen.
Jagdhaus Pait
Jagdhaus Pait Kaisersaal
Höhepunkt des Tages war eine Bootsfahrt auf dem Paitfluss durch den Erlenbruchwald nach Inse zum Kurischen Haff.
Paitfluß mit Mitarbeiter
Inse
Kurisches Haff
Es wurde ein unvergessliches Erlebnis, welches nur durch die übermäßige Lautstärke des Motors getrübt wurde. Dadurch werden die vielen Wasservögel, die den Erlenbruchwald bewohnen, viel zu früh gewarnt und flogen schon aus ihren Verstecken, bevor wir sie richtig sehen konnten. Wir wünschten uns in diesem Moment einen Elektromotor.
Vogelflug
Auch Paddelboote werden vom Betreiber der Einrichtung bereits angeboten. Unsere Gruppe bestand an diesem Tag noch zusätzlich aus der evangelische Gemeindeschwester von Heinrichswalde, der 1. stellv. Vorsitzenden der Kreisgemeinschaft Elchniederung und Alik, also drei Personen mehr. Da bot es sich an, bis zum Mittagessen, sich die Landschaft mit dem ortskundigen Mitarbeiter und dem Motorboot zeigen zu lassen.
Die Landschaft und die Tierwelt hätten es aber verdient, sich hier mehrere Tage aufzuhalten und auf den Gräben, welche teilweise nach Jahrzehnten wieder gereinigt und somit schiffbar gemacht wurden, den alten Spuren unseres Kaisers zu folgen.
Die Quads, welche die Russen für Touren auch anbieten, wirken eher störend in diesem Naturparadies. Die Zimmer für Gäste im Nebengebäude des Jagdhauses sind neu und auch an einer Sauna fehlt es nicht. Auf dem Rückweg besuchten wir den Standort des Forstamtes Ibenhorst und die Ruine der Försterei Ackmenischken, wieder sehr nahe an der Grenze zu Litauen. Prompt wurden wir von einem russischen Grenzsoldaten in Zivil kontrolliert. Probleme gab es keine, da wir die notwendigen Dokumente vorweisen konnten.
Nächstes Ziel von uns waren Alt Lappienen (Rauterskirch) und Seckenburg, beide südlich der Gilge außerhalb des Sperrgebietes gelegen.
Rauterskirch
Die Kreisgemeinschaft Elchniederung hat die Pflege der Kirchenruine in Rauterskirch (1975 abgebrannt, angeblich durch Blitzeinschlag) übernommen.
Einige Meldungen in der letzten Zeit berichteten von einem verwilderten Zustand des Geländes. Heute war das Gras geschnitten, das hatte Alik übernommen, und so war der Zugang für uns problemlos. Mit einem seltsamen Gefühl betraten wir die Ruine, immer auf der Hut vor möglicherweise herabfallenden Steinen. Die Zeit, 5 Jahre waren seit dem letzten Besuch vergangen, hatte ihre Spuren an der Bausubstanz hinterlassen.
Kirche Seckenburg
Kirche Seckenburg / innen
Einst war sie von Wohnhäusern umgeben, bei jedem Besuch in der Vergangenheit fehlten einige Häuser mehr. Man sah dann die Ziegelsteine wohl verpackt zum Abtransport auf dem Platz des Hauses liegen. Jetzt zeigte sich nur noch eine baufällige Kirchenruine umgeben von Wildnis.
Sonntag 19.05.2024
Tagesziel war die Rominter Heide, wo wir einen altbekannten Reiseführer, Sergej Pogudin mit exzellenten Deutschkenntnissen trafen. Es war ein freudiges Wiedersehen nach all den Jahren. Die Anfahrt nach Gumbinnen erfolgte von Ragnit aus über eine Nebenstrecke, denn wir wollten an der einstigen Großbaustelle des inzwischen eingestellten Kernkraftwerksbaues vorbeifahren.
Gutshof Althof-Ragnit
Bevor wir aber nach Gumbinnen kamen, machten wir noch einen Abstecher zu dem Gutshof Althof-Ragnit und waren entsetzt, was von dem Herrschaftlichen Hause, welches in den 1990 Jahren noch gut erhalten war, jetzt noch vorzufinden war.
Nach einer Cappuccinopause in Gumbinnen genossen wir alle die Bequemlichkeit, sich um die Fahrtroute nicht mehr kümmern zu müssen, denn das hatte jetzt Sergej übernommen. In Gumbinnen wurden die beiden am Bahnhof stehenden Wassertürme zu modernen Museen umgestaltet, mit einem Restaurant im obersten Stockwerk.
Wassertürme in Gumbinnen
Über Nemmersdorf fuhren wir zum Skilift nach Kallnen, dem einzigen Skilift im nördlichen Ostpreußen. Durch Aufschüttungen versucht man derzeit, die Abfahrt zu verlängern.
Skilift in Kallnen
Nebenan liegt der Drachenberg mit dem einstigen deutschen Friedhof, der heute von den Russen benutzt wird.
Friedhof bei Kallnen mit Spargel
Vom Drachenberg aus hat man einen guten Ausblick Richtung Gumbinnen und Insterburg. Nach einem Kurzbesuch in Darkehmen (Angerapp) erreichten wir die Gutsanlage Weedern (Familie von Zitzewitz).
Gutsanlage Weedern
Die Stallungen und der Pferdeparcours sind wieder in einem guten Zustand, das Gutshaus selbst wurde bisher nur außen renoviert, ein Blick durch die Glasscheibe der Eingangstüre zeigte aber, dass dahinter noch schöne herrschaftliche Räume und Treppen auf ihre Erweckung warten. In den Ställen standen früher 40 – 60 hochwertige Stuten, der Zuchtbetrieb war Hochzuchtstätte der ostpreußischen Warmblutzucht Trakehner Abstammung und im In- und Ausland berühmt.
Pferdeparcours in der Gutsanlage Weedern
Nach der Vertreibung war es Erdmute von Zitzewitz gelungen, in Katharinental in Holstein die Zucht mit ihren noch lebenden letzten Pferden weiterzuführen. Das Gut Weedern wurde von einer prominenten Russin (Frau des Moskauer Bürgermeisters Lushkov nachzulesen im Informationszentrum Ostpreußen) erworben. Ein Hotel, das damals geplant war, ist bis heute nicht entstanden und in den Ställen stehen nur Pensionspferde.
Bevor wir dann endgültig die Rominter Heide erreichten, hielten wir noch bei der Ruine der Kirche des Gutes Wilhelmsberg und am Bahnhof Groß Rominten an, wohin heute auch wieder Züge fahren.
Bahnhof Groß Rominten
Zug am Bahnhof Groß Rominten
Das Mittagessen wurde dann im ehemaligen Forstamtsgebäude Warnen eingenommen.
Forsthaus Warrnen vor der Restaurierung
Das heruntergekommene Gebäude wurde nach 1990 von zwei Ukrainern restauriert. Der dazugehörige landwirtschaftliche Betrieb macht einen wenig profitablen Eindruck. Heute wird dieses Haus in den Sommermonaten auch als eine Ferienstätte für Waisenkinder aus Königsberg genutzt. Das von uns vorbestellte Mittagessen, Borschtsch und gefüllte Pfannkuchen, war wie immer hervorragend. Bei einem Gläschen (oder auch zwei) Wodka wurde die alte Bekanntschaft bekräftigt.
Zimmer im Forsthaus Warnen
Speisesaal im einstigen Forsthaus Warnen
Nach einer Fahrt durch die traumhafte Rominter Heide und dem Besuch des Marinowosees, erreichten wir am späten Nachmittag wieder Gumbinnen.
Marinowosee
Im ehrenwerten, noch in alter Bausubstanz schlummernden Hotel „Kaiserhof“, mit alter Holztreppe, nostalgischem Design und historischen Photographien, waren die Zimmer bereits gebucht.
Montag 20.05.2024
Am 7. Reisetag fuhren wir auf Kants Spuren nach Judtschen (Kanthausen). Wir wussten nicht, dass Montag Ruhetag ist. So konnten wir nicht in die Museumsausstellung des von den Russen renovierten und zum Teil neu errichteten Anwesens, wo Kant einst ca. 3 Jahre Privatlehrer bei den Söhnen von Pastor Daniel Ernst Andersch und beim Schulmeister Johann Jacob Challet gewesen ist. Die Kirche ist leider nicht mehr vorhanden.
Kanthaus vor der Renovierung
Kanthaus nach der Renovierung – Museum
Der Weg führte uns dann weiter über Insterburg, Norkitten, Taplacken nach Wehlau.
Kirche in Wehlau
Die Gegend um Wehlau war zur Jungsteinzeit von baltischen Völkergruppen der Indogermanen (wie Ausgrabungsfunde zeigen) besiedelt. Der Ort hatte bereits eine mächtige Wehranlage mit Namen Wetau oder Wetalo oder Wilow (=Wasserburg). Dies war die einzige Wehranlage, die der Deutsche Orden vorfand und welche 1256 kampflos vom prussischen Burghauptmann Tirsko nach Belagerung übergeben wurde. Die Burgbesatzung wechselte zum Christentum. Königin Luise und ihr Gemahl hielten sich auf der Flucht vor Napoleon 1806 einige Tage in Wehlau auf. Die Kirche wurde in nur 20 Jahren erbaut und 1360 vollendet.
In der PAZ wurde im August 2023 über Restaurierungsarbeiten in Gerdauen berichtet, welches aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen scheint. Wir konnten uns davon überzeugen.
Gerdauen – alt und neu –
Es ist wirklich eine Augenweide, wie der alte deutsche Ort wiederentsteht. Wir fragten uns, welche Interessen dahinterstehen mögen? Ja es ist ein touristischer Magnet, doch wie viele Deutsche kommen derzeit nach Gerdauen, um die neuen Fassaden und neuen Bürgersteige, die unsere Vorfahren gebaut haben und jetzt nach altem Archivmaterial und Fotos neu erstanden sind, zu bewundern? Ausgerechnet in Gerdauen setzte Regen ein.
Gerdauen
Wir fuhren weiter über Friedland Richtung Königsberg. Dort war ein Treffen mit Tanja am Fischdorf vorgesehen.
Königsberg
Nach einem gemeinsamen Mittagessen und einer Stadtrundfahrt durch die deutschen Villenviertel war der Höhepunkt dieses Tages ein unvergessliches 40-minütiges Orgelanspiel im Königsberger Dom. Die Übernachtung war im Gutshotel Nesselbeck vorgesehen, nur rund 4 km vom nördlichen Stadtrand Königsbergs gelegen.
Gut Nesselbeck
Dienstag 21.05.2024
Über Cranz, wo die letzten Jahre ein entsetzlicher Bauboom eingesetzt hat, ging es auf die Kurische Nehrung. Auch hier wurde, nach Rekonstruktion und Restaurierung einer Försterei (Försterei Rossiten beim Möwenbruch) heute eine Hotelanlage gestaltet. Wir wanderten auf Ephas Höhe und bewunderten die
Weitsicht und das Aufforstungswerk dieses außergewöhnlichen Forstmannes und seiner Mitarbeiter im 19. Jahrhundert. Ob die russischen Neubürger dieses zu schätzen wissen?
Ephas Höhe – Aufforstung
Ein besonderes Kleinod war auch die einstige evangelische Kirche in Rossitten, heute eine orthodoxe Kirche.
Einstige evangelische Kirche in Rossitten
Kleine Villa in Rossitten
Selbstverständlich musste an diesem warmen Tage auf der Nehrung ein Fischrestaurant aufgesucht werden, bevor die Rückreise über Cranz nach Rauschen gestartet wurde. Rauschen, dieser einstige wunderschöne Badeort verändert sich gerade nicht zum Besten. Viele alte Villen, welche den Charme des Ortes ausmachten und auch nicht beschädigt gewesen waren, mussten modernen Hotels und Wohnblöcken weichen. Diese charakterlosen Neubauten können überall auf der Welt stehen, mit Rauschen haben sie nichts mehr gemeinsam. Uns war klar, dass bei dieser touristischen Überbevölkerung Wohnungen gebraucht werden, aber hätte man diese nicht an den Ortsrand bauen und das alte, für Russen so exotische Ortsbild erhalten können? Schließlich kommen viele Russen in dieses kleine Land, weil es bei ihnen in Zentralrussland genau so etwas nicht gibt. Sehr enttäuschend war die Strandpromenade, da diese derzeit eine Großbaustelle und der Zugang zur Ostsee nicht möglich ist. Die Touristen schien das nicht zu stören.
Nun, man wird sehen, wie die Entwicklung weitergeht.
Strandpromenade in Rauschen
Auf der Rückfahrt zum Hotel entschlossen wir uns, auf der Landstraße durch das Samland zu fahren und nicht die neue Autobahn zu nehmen. Wie sich herausstellte, war dies eine sehr weise Entscheidung. Über viele kleine Ortschaften mit wohlklingenden Namen wie Obrotten, Probethen, entdeckten wir eine Gutsanlage, welche schon sehr imposant wirkte. Es handelte sich um die Gutsanlage Grünhoff.
Gutsanlage Grünhoff
Wir konnten uns in Ruhe das Gelände anschauen und kamen auch noch mit zwei freundlichen Arbeitern ist Gespräch, von welchen uns einer in Deutsch fragte, ob wir aus Deutschland kämen. Das überraschte uns sehr, doch war es nicht verwunderlich, da dieser Herr einige Jahre in Kassel gearbeitet hatte.
Baustelle Gutsanlage Grünhoff
Einst hat diese Gutsanlage/Schloss Grünhoff General Friedrich Wilhelm Freiherr von Bülow Graf von Dennewitz (1755-1816) für seine Verdienste in den Befreiungskriegen (1813/14) vom preußischen König Friedrich Wilhelm III geschenkt bekommen. Auch über die Geschichte des Schlosses findet man im Informationszentrum Ostpreußen viel wertvolles Wissen.
Wir setzten unsere Fahrt über Orte wie Nadrau, Mollehnen und Schugsten nach Gut Nesselbeck weiter fort. Bei einem guten Abendessen ließen wir unsere Reise Revue passieren und freuten uns über alle unsere Erlebnisse, Neuentdeckungen und Erkenntnisse, bevor wir am Mittwoch den 22.05.2024 über Königsberg und Heiligenbeil II die Rückreise angetreten haben.
Fazit: Es war eine Reise zu Freunden.
Die jahrelange Völkerverständigungsarbeit zeigte ihre Früchte. Wir wurden erwartet und herzlichst empfangen. Unsere Sorgen bei der Reiseplanung waren unbegründet. Weder in Geschäften, an Tankstellen, noch in Restaurants o.ä. war eine Ablehnung oder gar Aggression zu spüren. Mehr Soldaten und Waffen haben wir im nördlichen Ostpreußen nicht gesehen und erlebt. Im südlichen Teil Ostpreußens dagegen schon.
Bilder Nr.: 40, 50, 60 wurden von Reinhard August zur Verfügung gestellt.
Bild Nr.: 22, 48, 52 wurden aus Wikipedia ausgewählt.
Alle anderen Bilder sind von Renate Seyb.
Bericht: Renate Seyb
Lektor: Hubert Geiger