Odyssee einer Orgel

von Dieter Wenskat, Februar 2024

Es wird schon lange in der Kreisgemeinschaft Elchniederung über eine Orgel für die Kirche in Heinrichswalde gesprochen.
Vor etwa einem Jahr meldete sich der Orgelbauer Jörg Naß aus Rheine mit der Neuigkeit, dass er eine Orgel in Hamburg zu einem symbolischen Preis von der Evangelischen Lutherischen Kirchengemeinde Sasel gekauft habe, bei Peter Westphal. Naß wolle sie in der evangelischen Kirche in Heinrichswalde wieder aufbauen. Kurz darauf gab es einen Austausch zwischen der Gemeinde und der Kreisgemeinschaft Elchniederung, die nachfragte, ob und wie sie helfen könne. Der inoffizielle Beschluss, die Orgel in Sasel abzubauen und nach Heinrichswalde zu verbringen, war gefasst. Naß begann die Orgel bei Eiseskälte abzubauen und benötigte dazu alle Hilfe, teilweise waren die Stücke drei Zentner schwer, sodass viele Kirchspielvertreter mit anpackten und auch deren Freunde. Nach der Delegiertenversammlung im September 2023 wurde Naß zur Sitzung eingeladen, um eine Kostenvereinbarung zu beschließen. Da die Saseler Kirche bald abgerissen werden sollte, mussten zwei Container gemietet werden, in denen die Orgeleinzelstücke nach Ostpreußen verbracht werden konnten. In Heinrichswalde waren die Arbeiten jedoch noch nicht so weit fortgeschritten, dass die Orgel bereits aufgebaut hätte werden können, aber eine Lagerung im Container war auch nicht möglich, da das Instrument auch in seinen Einzelteilen belüftet und beheizt werden muss. Da bot sich der große Gottesdienstraum der evangelischen Kirche an, der ebenfalls mit der Hilfe der Kreisgemeinschaft Elchniederung hergerichtet worden war. Nun startete die Bürokratie; Barbara Dawideit hatte in Heinrichswalde nach unserer Vereinbarung mit Jörg Naß mit den zuständigen Verantwortlichen für die Sanierung des Kulturhauses Gespräche geführt, um für den Transport der Orgel Papiere für den Zoll und die Übereignung anzufordern. Leider fehlten auf den Papieren Unterschrift und Stempel, die erst im November eingeholt werden konnten. Nun hatte Jörg Naß die erforderlichen Unterlagen, um beim Zoll vorzusprechen, ob eine Ausfuhr der Orgel möglich sei. Wegen des Embargos der EU ist eine Ausfuhr von beweglichen Musikinstrumenten verboten. In Münster fand Naß dann endlich einen Zollbeamten (ein Sohn ostpreußischer Eltern), der bestätigte, dass eine Orgel nicht unter das Embargo fällt. Jetzt musste ein Spediteur gefunden werden; eine einzige Spedition gab die Zusage, die Orgel bis nach Heinrichswalde zu liefern, alle anderen hätten nur bis zur russischen Grenze geliefert. Einzige Bedingung war, dass die Orgel in Kartons verpackt ist.
Im Januar haben viele fleißige Helfer der Kreisgemeinschaft die Orgelteile in 140 Kartons verpackt und mit Nummern und Anschrift versehen. Eine weitere Hürde war der Transport der Orgelkartons nach Nienburg zum Spediteur, und zwar in einem Möbeltransporter, der mit viel Muskelkraft beladen wurde. Naß, der den Transport eigentlich begleiten wollte, hatte zu diesem Zeitpunkt noch kein freigegebenes Visum. Ein weiteres Hindernis war die Farbe der Papiere, die hätten nicht in schwarz-weiß sein dürfen, weshalb der LKW an der polnischen Grenze gestoppt wurde, bis eine Farbversion zugeschickt worden ist. Derweil befreite der Kirchspielvertreter von Gowarten/Kreuzingen den Weg zum Nebeneingang des Gemeindehauses vom Schnee und räumte den vorgesehenen Lagerplatz in diesem frei. Ein nächster Schrecken kam, als ein Gutachten angefordert wurde, dass es sich bei dem Instrument nicht um eine historische Orgel handele, das über Pastor Schöneberg in Hamburg eingeholt werden konnte. Dennoch ließ der polnische Zoll die Orgel nicht passieren. So ging es zurück zur polnischen Zweigstelle der Spedition um alle Kartons in einen litauischen LKW umzuladen. Dieser versuchte den Weg über die litauisch-russische Grenze, allerdings erst eine Woche später. Dieser Verzug hatte nur den Vorteil, dass inzwischen das Visum für den Orgelbauer Naß vorlag, der mit seiner Frau privat bis an die litauische Grenze gefahren, zu Fuß bis nach Tilssit gelaufen ist, um mit dem Bus in Heinrichswalde anzukommen.
Am Montag, 29. Januar 2024 kam dann der erlösende Anruf der Spedition, dass der LKW über die Grenze gefahren und auf russischem Gebiet auf dem Weg nach Heinrichswalde sei. Naß und alle Helfer schleppten die nun sehr ramponierten Kartons in den Gemeinderaum. Leider ist ein geordnetes Stapeln nicht möglich, es ist zu hoffen, dass nichts verloren gegangen ist, außerdem sieht der Gemeinderaum nicht gerade ansehnlich aus, wie es mit der Kirchenleitung abgesprochen war. Um dem etwas abzuhelfen, hat die Kreisgemeinschaft beschlossen, den Lagerbereich mit einer Leichtwand zu verkleiden.
Der Zeitpunkt, am dem die Orgel aufgebaut sein wird, steht noch nicht. Und dennoch ist es ein Herzenswunsch des Unterzeichners, dass sie aufgebaut und von vielen Menschen gehört werden kann. Wer einen finanziellen Beitrag dazu leisten kann, der wende sich gern an die Kreisgemeinschaft.
Dieter Wenskat

Nachtrag

von Fritz Klingsporn, März 2024

Entgegen der ursprünglichen Planung konnte die in Kisten verpackte Orgel nun, nach kurzem Zwischenaufenthalt im Gemeindehaus der Evangelisch Lutherischen Kirche, in einem Schulgebäude in Heinrichswalde eingelagert werden.
Über die Orgel, die nun in Heinrichswalde/Slawsk eingetroffen ist und auf ihren Einbau in die Heinrichswalder Kirche wartet, wurde im Oblast Kaliningrad durch einschlägige Medien berichtet. So wurde sogar in einem russischen Fernsehsender ein Bericht über die Orgel gezeigt; auch andere regionale Medien berichteten über die Orgel, die von Herrn Naß mit Hilfe und Unterstützung der Kreisgemeinschaft Elchniederung e.V. nach Heinrichswalde gelangte. Dem Umfang und dem Inhalt dieser Berichterstattung ist zu entnehmen, dass der Orgel eine sehr große kulturelle Bedeutung über die Grenzen von Heinrichwalde hinaus für den gesamten Oblast Kaliningrad beigemessen wird.
So wird als unverbindlicher Zeitpunkt das Jahr 2025 genannt, in dem die Arbeiten an der Kirche abgeschlossen sein sollen und die Kirche dann als „Kulturkiche“ ihren Betrieb aufnehmen soll. Wir alle können gespannt sein, wann die Orgel das erste Mal in Heinrichswalde zu hören sein wird.
An dieser Stelle möchte ich allen Personen danken, die durch ihr unterschiedliches Engagement dazu beigetragen haben, dass die Orgel nun in Heinrichswalde angekommen ist. Bürokratische Hürden mußten überwunden werden. Zur Verwirklichung des Projektes war nicht nur körperlicher Einsatz erforderlich, um die Orgel mit drei Tonnen Gewicht abzubauen, zu verpacken und zu verladen. Dann mußten die Kisten in Heinrichswalde abgeladen und zusammen mit fleißigen russischen Helfern vor Ort in das Zwischenlager transportiert werden. Vorab bis zum Schluß waren Gespräche mit allen Beteiligten vor Ort notwendig. Hierzu reisten die Beteiligten mehrere Male, auch bei widrigen Wetter- und Straßenverhältnissen nach Heinrichswalde, auch um die Arbeiten beim Abladen der Orgel zu unterstützen und hierbei mitzuwirken.
Großer Dank gebührt Herrn Naß als dem Initiator des Projektes, Dieter Wenskat, der sich von Anfang an eingesetzt und sich nicht geschont hat, selbst anzupacken und immer an Ort und Stelle war, wenn er gebraucht wurde und es etwas zu organisieren galt, Peter Westphal der nicht nur vor Ort unterstützt und sich engagiert hat und Bärbel Dawideit, deren Kontakte und persönliche Verhandlungen mit den verantwortlichen Stellen und Personen in Heinrichswalde zum Erfolg beigetragen haben.
Nicht vergessen werden sollen aber auch alle anderen nicht namentlich genannten Helfer, die wie auch immer mitgewirkt haben aber auch die Personen und Organisationen, durch deren Spenden das Projekt unterstützt wird.
Wir alle können dankbar sein, dass gerade in der heutigen Zeit durch dieses Projekt die Verbindung nach Heinrichswalde/Slawsk aufrechterhalten und freundschaftlich gestärkt wird.
Fritz Klingsporn