Heimatbrief 81, Pfingsten 2025

Urmesstischblatt (Königl.Preuß.Landesaufnahme von 1861), Staatsbibliothek Berlin

Langenberg war nur ein kleines Dorf im Kreis Elchniederung, das aus wenigen Einzelhöfen bestand – wie so viele andere auch. Heute steht dort nichts mehr. Nur der Wind weht über das versteppte Wiesenland. 1939 lebten dort 83 Einwohner. 1887 waren es noch 112 Personen in 13 Haushalten.

Der Ort Langenberg lag im Bereich der Kirchengemeinde Neukirch. Die neueren Kirchenbücher sind verloren, die älteren nur bruchstückweise erhalten. Die Standesamtsregister des zuständigen Standesamts Neukirch sind vollständiger Kriegsverlust. Das Dorf lag in der tiefen Niederung, also nur wenig über dem Meeresspiegel. Am Ortsrand aber erhob sich als Vermächtnis der Eiszeit ein 12 Meter hoher Sandhügel, von dem man drei Kilometer weit über das weite ebene Land bis zum Gilgestrom schauen konnte. Auf diesem Hügel befand sich der Friedhof für Langenberg und die umliegenden Dörfer.

Acrylgemälde von Herbert Boettcher (1930-2019) aus Mägdeberg

Dieses Bild „Bäuerliches Begräbnis in der Elchniederung, aus der Vogelperspektive“ von Herbert Boettcher gibt einen guten Eindruck von der Landschaft um Langenberg. Auf dem Bild zu sehen ist die Beerdigung seiner Großmutter Mathilde Boettcher geb. Frischmuth (1863-1939) im September 1939. Wegen des Krieges, der gerade begonnen hatte, kamen nur 19 Kutschwagen mit Trauergästen, schreibt er. Die Vorfahren seiner Familie sind hier seit sieben Generationen beerdigt worden. Der Friedhof war mit Espen bepflanzt. Der Hof seines Vaters Richard Böttcher (1894-1971) in Mägdeberg ist die Nummer 1. Böttchers Landarbeiterhof (3) für zwei Familien mit Kuhhaltung gehörte schon zu Langenberg. Der Hauptentwässerungsgraben (Nr. 17, die Baumreihe führt dort entlang) bildete die Grenze zwischen Langenberg und Mägdeberg. Dort wohnte der Chausseewärter Rudat (Nr.15). Chausseewärter – was für ein Beruf längst vergangener Zeiten! Nr. 13 ist das Gut Neuhof-Reatischken (Budeweg) des Besitzers Kröhnert. Bahnhof Reatischken ist Nr.12. Selbst die 24 Milchkühe der Familie Böttcher sind zu erblicken, auch Böttchers sechs Meter hoher Sandberg (früher Polenzenberg). Ganz klein nahe der Gilge sehen wir den Hof Engelke in Lausberg (7) und den Hof Eckert in Warskillen (8). Über diese beiden Höfe habe ich in einem früheren Heimatbrief ausführlich berichtet (HB Elchniederung Nr. 55 Pfingsten 2012, S. 44-49,). Nummer 10 ist das Gut Mägdeberg von Dr. Viktor Wohlgemuth mit seinem imposanten Gutshaus (Bericht im HB Elchniederung Nr. 66, S. 38-43 und Nr. 68, S. 30-31). Die Kiesstraße (4), die an Böttchers Hof vorbeiführt, geht von Ascheberg bis zum Gilgedamm. 

Herbert Boettcher malte das Bild im Alter in seiner neuen Heimat Kanada. Es gibt einen wunderbaren Eindruck dieser für uns heilen vergangenen Welt, aus der Sicht eines Vogels in 20 m Höhe. Sogar das Gespann des Bauern Arthur Nötzel (16) von Langenberg ist abgebildet. Und ganz klein am oberen Bildrand fährt die Kleinbahn (6) zwischen Wolfsberg und Reatischken. Man möge mir die ausführliche Beschreibung der Umgebung von Langenberg verzeihen. Aber für mich wird hier mit dieser Zeichnung eine Welt lebendig, die ich nicht mehr erleben durfte. Meine eigenen Vorfahren kamen aus Lausberg, das zuletzt zu Hohenwiese gehörte. Und die alten Ortsbezeichnungen der Höfe und Dörfer wie Lausberg und Polenzenberg sind ja heute schon in Vergessenheit geraten.
Über Lausberg habe ich bereits früher berichtet (im HB Elchniederung Nr. 53 Pfingsten 2011, S. 51-53).

Hof Mertins in Langenberg um 1940 (Quelle: Bildarchiv Ostpreußen)

Um 1940 gab es in Langenberg folgende Hofbesitzer:
Hermann MERTINS, geb.1888, verheiratet mit Meta Selleneit, 97,18 ha
Arthur Noetzel, geb. 1876, verheiratet mit Ludwika Huhn, 51 ha, Mölln
Meta Noetzel geb. Pauper (Pemper?), geb. um 1892, 44 ha, Rerik
Otto Nakat, geb. 1887 + 28.2.1942, verheiratet mit Meta Siebert, 23 ha
Paul Bendig geb. 1903, 3 ha
Der größte Hof mit fast 100 Hektar war der von Hermann Mertins. Frühere Besitzer nannten sich zu Recht Gutsbesitzer.

Einfacher handgezeichneter Lageplan der Gemeinde Langenberg um 1940

Von Langenberg gibt es leider – wie von so vielen kleineren Gemeinden des Kreises Elchniederung – nur wenige oder keine Fotos. Drei Abbildungen des Hofes von Hermann Mertins sind jedoch erhalten, vermutlich vor langer Zeit eingereicht von seiner Tochter Margarethe Hill geb. Mertins (+2004). Außerdem einige Personenbilder.

Langenberg Hof Mertins Vieh-und Pferdestall um 1940

Weitere Familien aus Langenberg um 1940:
Barkowski Deputant und Ehefrau
Beszon Deputant und Ehefrau
Frenkler Fritz Obermelker, verheiratet mit Emmi Redetzki
Jodeksnis Hermann Deputant und Ehefrau
Karls, Alfred Kutscher
Kudzus Friedrich Deputant und Ehefrau
Redetzki Henriette
Schappals Friedrich (1894-1949) Deputant, verheiratet mit Ida NN (1895-1945)
Schäffer Otto Melker
Schöntauf Julius und Ehefrau
Schwelgin Karl Deputant und Ehefrau Frieda NN
Slotta Max Deputant und Ehefrau Frieda geb. Rekat
Urban Wilhelm Deputant, verheiratet mit Gertrud Kurschat
Vaak Willi Deputant und Ehefrau Martha geb.Priebe
Vogelgesang Franz Deputant und Ehefrau Pauline Luttkus
Quelle für diese Bewohner von Langenberg ist die sogenannte „Seelenliste“ von Langenberg (Ostdokumentation des Bundes 3, heute im Bundesarchiv in Bayreuth).

Um 1955, also aus der Erinnerung heraus, wurden für fast alle Dörfer des Kreises Niederung Einwohnerlisten mit Stichtag 31.12.1939 aufgestellt, zum Zwecke des Lastenausgleichs.

Familie Otto und Meta Nakat in Langenberg 1929/1930 (Quelle: Herbert Nakat)

Einige wenige ehemalige Bewohner geben uns auf Fotos einen kleinen Einblick in ihr Leben. Hier sehen wir die Familie Otto Nakat aus Langenberg um 1929/1930. In der oberen Reihe sieht man neben einem unbekannten älteren Herrn von links nach rechts die drei Brüder Otto, Carl und Gustav Nakat, die Besitzer in Langenberg, Linkuhnen und Dannenberg waren. Sie stammten aus Mägdeberg, wo ihr Vater Heinrich Nakat (1853-1925) einen Hof besessen hatte. Ottos Frau Meta geb. Siebert sitzt links im Bild, vor ihr Sohn Gerhard Nakat. Zwischen den Brüdern Carl und Gustav Nakat steht Gustavs Frau Hedwig geb. Deckmann (1888-1964), die in 1.Ehe mit dessen ältestem Bruder Hermann Nakat, 1915 gefallen im 1. WK, verheiratet war. Auf dem Bild genießen alle noch einen schönen Sommertag in Langenberg im Garten der Familie Otto Nakat. Aber das Schicksal meinte es nicht gut mit dieser Familie. Otto Nakat starb 1942 in Heinrichswalde unter tragischen Umständen, seine Frau Meta verhungerte 1945 in Fischhausen, und der Sohn Gerhard Nakat fiel 1944 im 2. WK.

Aktueller Anlass für diesen Artikel war meine Korrespondenz mit einer Ur-Ur-Enkelin des Gutsbesitzers Michael Dommasch von Langenberg. So setzte ich mich daran, alles zusammenzusuchen, was über Langenberg zu finden ist. So vieles ist verloren über die Orte der Elchniederung und ihre Bewohner, und vermutlich werden täglich weitere Fotos und Erinnerungen verschwinden. Die letzten Zeitzeugen sterben. Aber wie schön ist es, wenn dann unvermutet doch noch Informationen auftauchen!

Michael Domasz und sein Sohn Max Dommasch mit Ehefrau

Michael Dommasch (Domasz) von Langenberg, geboren 1829 in Sausseningken im Kirchspiel Kaukehmen als Sohn des Gutsbesitzers George Dommasch, heiratete am 10.März 1857 in Neukirch Johanna Henriette Stascheit, Tochter des Daniel Stascheit (1797-1847) aus Johannsdorf, dem Nachbardorf von Langenberg. Ihr gemeinsamer Sohn Max Hugo Dommasch wurde am 10. Mai 1870 in Langenberg geboren und in Neukirch getauft. Auch dessen beide ältere Schwestern Marie Dommasch und Anna Dommasch wurden schon in Langenberg geboren. So ist zu vermuten, dass Michael mindestens seit 1865 Gutsbesitzer von Langenberg war. Leider gibt es für das 19. Jahrhundert in den Güterverzeichnissen nur Angaben zu den großen Rittergütern. Erst im 20. Jahrhundert erschienen auch Verzeichnisse für die vielen anderen Güter im damaligen Kreis Niederung, der von 1938-1945 Kreis Niederung hieß. Zu dieser Zeit war das Gut Langenberg schon verkauft. Michael Dommasch lebte 1897, als sein Sohn Max in Unna in Nordrhein-Westfalen heiratete, bereits in Tilsit. Michaels Frau Johanne war bereits verstorben.

Heiratsurkunde von Michael Dommasch 

Anna und Marie Dommasch um 1885

Das Gut wird vermutlich schon vor 1890 verkauft worden sein, zu einer Zeit, als es noch einen guten Preis erzielen konnte. Die Schwestern Anna und Marie Dommasch waren danach in der Lage, ein Haus in Goldap (oder Goldach?) bauen zu lassen, und Max Dommasch konnte die Brauerei in Gemünd in der Eifel erwerben. 1897 war Max Dommasch Braumeister in Gemünd. Marie Dommasch arbeitete bei der Post in Kattowitz. Sie hatte einen 1899 geborenen Sohn Erich Dommasch, der Lehrer in Warskillen bei Kaukehmen wurde. Die Schwestern lebten nach ihrer Flucht in Tübingen. Sie verdienten sich ihr Geld als Klavierlehrerinnen. Max Dommasch war nach dem Verkauf der eigenen Brauerei in Gemünd Braumeister bei der Lindenbrauerei in Unna.

Die beiden Töchter von Michel Dommasch und zwei Unbekannte um 1885

Die Heirat von Max und Johanne Dommasch erfolgte 1897 auf sanften Druck des Schwiegervaters. Caroline Voigt war bereits schwanger und ihr Vater reiste dem zukünftigen Bräutigam hinterher, um ihn zurückzuholen.
Der musikalische Max Dommasch und die belesene, politisch interessierte Karoline, genannt Line, sollen eine gute Ehe geführt haben. Max Hugo Dommasch starb 1956 in Unna.

Vielen Dank an seine Urenkelin Andrea Gosny aus 47906 Kempen, die die Fotos und Informationen zur Verfügung stellte, sodass ein Putzzleteilchen zur Geschichte der Elchniederung lebendig wurde!

Max Dommasch soll viel von dem schönen Gutshaus in Langenberg erzählt haben und von dem Gut mit Pferdezucht. Das Gut war seinen Worten nach das größte in Langenberg. Im Adressbuch des Kreises Niederung (Tilsit 1890) wird der Name Dommasch schon nicht mehr aufgeführt.
Folgende Grundbesitzer lebten damals um 1890 in Langenberg, Post Reatischken:
die Gutsbesitzer Franz Janz und Otto Döhring (mögliche Käufer des Gutes Dommasch?), außerdem die Besitzer Gustav Kopp, Jakob Janz, Alexander Vaack, Johann Artschwager und Jakob Götzky.

In Niekammer´s Güter-Adressbuch von 1922 finden sich nur diese beiden Gutsbesitzer:
Eduard Döhring mit 98 ha und Arthur Nötzel mit 51 ha Land.

Vermutlich hat die Familie Dommasch das Gut Langenberg also vor 1890 an die Familie Döhring verkauft. Und Döhring wird dann weiterverkauft haben an Hermann Mertins.

Heiratsurkunde von Max Dommasch, 1897 in Unna

Max Dommasch um 1897

Max Dommasch um 1905 mit Ehefrau Caroline geb.Voigt

Erich Dommasch, geb.1899, Lehrer in Warskillen

1929 und 1932 ist in Langenberg Hermann Mertins als Besitzer von 98 Hektar Land angegeben.

1932 nennt sich das Güterverzeichnis dann „Niekammers Landwirtschaftliches Adressbuch der Domänen, Rittergüter, Güter und Höfe in der Provinz Ostpreußen“ und beinhaltet 1932 somit auch eine größere Anzahl landschaftlicher Anwesen als frühere Verzeichnisse:
Hermann Mertins 97,5 ha, 12 Pferde, 80 Stück Rindvieh (davon 40 Kühe), 50 Schweine, keine Schafe
Artur Noetzel 50 ha, 8 Pferde, 40 Stück Rindvieh (davon 22 Kühe), 15 Schweine, keine Schafe
Otto Noetzel 45 ha, 8 Pferde, 35 Stück Rindvieh (davon 20 Kühe), 10 Schweine, keine Schafe.

Zum Schluss noch ein kurzer Blick weiter zurück in die Vergangenheit von Langenberg. 1857 war Langenberg ein köllmisches Dorf mit 15 Huben und 111 Einwohnern (Quelle: Statistisch-Topgraphisches Adress- Handbuch von Ostpreußen, Königsberg 1857).

Karte von 1690, rechts in den grünen Linien Langenberg (GStA PK Berlin-Dahlem, Karte F-10392)

Es ist sogar eine Landkarte von 1690 erhalten, die vom Johann Paul Arnoldi, „geometra in Prussia“ gefertigt wurde. Auf ihr sind von links nach rechts die drei Orte Lindendorf, Johannsdorf und Langenberg gezeichnet, die Grenzen untereinander sind farbig markiert, und erstaunlicherweise finden wir dort die Namen der Siedler mit der Größe ihres Landes.
Für Langenberg „in den grünen Linien“ sind es bereits 18 Besitzer mit meist wenigen Morgen Land.
Größter Besitzer in Langenberg ist um 1690 demnach Balthasar Grause (vielleicht verballhornt aus dem Namen Krause?) mit 1 Hube 1 Morgen und 98 Ruthen. Wir lesen aber auch Namen, die später in der Elchniederung noch wohlvertraut klingen wie George Deckmann, Christoph Nakkait, Hanszchen und Thomas Gawehn, Jacob Kalkoffsky und Barthel Krahmer. Rechts von Langenberg liegt die Grenze zu „An Sr.Churfln Durchl. Scatull, An Meidenberg (=Mägdeberg) und An Balentschenberg (=Polenzenberg“).

Auf einem Sandhügel in Langenberg wurden auch kleinere Gegenstände aus der Wikingerzeit gefunden. Die Kette von Sandhügeln zog sich von Linkuhnen mit den meisten Wikingerfunden hin bis Seckenburg. Es ist also zu vermuten, dass dieser Teil der späteren Elchniederung schon in sehr früher Zeit einmal besiedelt war. Der Lehrer Paul Lemke aus Gründann hat sich intensiv mit der Frühgeschichte des Gebiets beschäftigt.

Nach dem 2.Weltkrieg haben die Russen den großen Sandhügel in Langenberg vollständig abgetragen und damit die vielen Gräben und Kanäle der Umgebung zugeschüttet. Herbert Boettcher erzählte, dass von den neuen Bewohnern im hohen Gras, wo früher die Gräben lagen, menschliche Knochen des ehemaligen Friedhofes gefunden wurden.

Lieselotte Mehner geb. Mertins aus Langenberg (geboren 1924), reiste um 1995 mit ihrem Bruder aus Kanada und dessen Kindern sowie der Tochter der Schwester nach Tilsit – wo sie sechs Jahre lang zur Schule gegangen war – und dann weiter mit dem Taxi zum Hof der Eltern nach Langenberg. Sie schreibt im Heimatbrief Elchniederung: „Um heute zu unserem Hof zu gehen, mussten wir von der Straße aus querfeldein gehen, Es war kein Weg mehr zu erkennen, auch der 15 m hohe Friedhof sowie unser eigener waren planiert. Kein Busch wies uns den Weg. …Schließlich fanden wir das gewesene Wohnhaus, wobei der Keller zugänglich gemacht war, um die letzten brauchbaren Steine herauszuholen… Das Deckengewölbe des Kartoffelkellers war ziemlich gut erhalten, Baujahr 1895! Hier drang von draußen viel Licht herein. Plötzlich bemerkte ich etwas, was mich erschütterte und zugleich erfreute, ein Schwalbennest….Eigentlich waren sie ja nur eine Etage tiefer gezogen. Denn früher wohnten sie stets im Vorflur des Hauses. Welch ein Ereignis! Diese Vögel, die angeblich Glück bringen, halten hier als einzige die Wacht!“ (HB Elchniederung Nr. 22, Weihnachten 1995, S. 70-71).

Gabriele Bastemeyer, Ginsterweg 37,
21380 Artlenburg, Tel.: 04139 -7364,
bastemeyer@t-online.de