Kreisgemeinschaft Elchniederung e.V.

Waltraut Moser-Schrader

Würdigung einer langjährigen Protagonistin – Waltraut Moser-Schrader
In diesem Jahr wurde von der Kreisgemeinschaft im Allgemeinen kaum wahrgenommen, dass unsere langjährige aktive Mitstreiterin für die Kreisgemeinschaft 90 Jahre alt geworden ist. Wir waren natürlich vor Ort und haben ihr zu diesem besonderen Geburtstag persönlich gratuliert. Erinnern wir uns: Waltraut wurde am 10. April 1926 in Lindental Kreis Elchniederung geboren. Sie war von 1993 bis 2002 Kirchspielvertreterin von Heinrichswalde (danach stellv. Kirchspielvertreterin). Ab 2002 wurde sie zur 1. stellvertretenden Vorsitzenden unserer Kreisgemeinschaft gewählt. Am 14.09.2013 trat sie altersbedingt von ihrer Funktion zurück. Für Ihre Verdienste wurde sie mit der “Silbernen Ehrennadel der Landsmannschaft Ostpreußen” ausgezeichnet. Ihre Aktivitäten sind vielfältig in unseren Heimatbriefen dokumentiert. Den ersten Beitrag findet man bereits in Heft 3 von 1984 – was bedeutet, dass sie mindestens 30 Jahre für uns aktiv war. Dafür gilt unser Dank und die Würdigung ihres Lebensweges für die alte Heimat.

In den nachfolgenden Beiträgen könnt Ihr noch mehr über sie lesen und erfahren. Besonders der Beitrag über ihre Flucht aus Ostpreußen, zusammengefasst von einer Cousine, ist interessant und bedeutsam für viele Schicksale. Ich habe sie in ihre neuen Heimat Dübendorf/Schweiz sowohl im vergangen als auch in diesem Jahr zu ihrer Überraschung besucht. Der Zufall wollte es, dass ich in beiden Jahren in Zürich weilte. In diesem Jahr hatte ich in den Sinne Glück, dass ich sie antraf, weil sie vor zwei Stunden aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Ihre Freude und Überraschung war deshalb besonders groß.
Wir wünschen ihr weiterhin Gesundheit und ein erfülltes Leben mit ihrem Horst, der sie liebevoll umsorgt.
Wolfgang Nienke im Auftrage des Vorstandes 2016 (Waltraut ist 2017 gestorben)

Eine engagierte Ostpreußin hatte Geburtstag – sie wurde 80 Jahre
Waltraut Moser-Schrader ist am 10. April 2006 80 Jahre geworden. Geboren wurde sie 1926 in Lindental Kreis Elchniederung. Nach dem Besuch der Volksschule in Lindental hat sie die Verwaltungsausbildung im Landratsamt Heinrichswalde erhalten. Durch die Kriegseinwirkungen mussten die Elchniederunger 1944 ihre Heimat verlassen. Mit Pferd und Wagen ging die Familie Schrader im Oktober auf die Flucht bis zur ersten Etappe nach Zinten. Dort wurde Waltraut Schra­der durch die Kriegswirren von der Familie getrennt und musste im Winter 1945 das zugefrorene Frische Haff überqueren. So gelangte sie dann über weitere Etappen nach Süddeutschland, wo sie nach 3 Jahren ihre Familie wieder fand. Nach der Eingliederung und Familiengründung wurde die Verbindung zu den Ostpreußen aufgenommen. Durch die familiären Bindungen zur Schweiz lernte sie ihren jetzigen Ehemann Horst Moser kennen. Waltraut Moser-Schrader hat dann durch ihre heimatliche Verbundenheit die Lindentaler Schultreffen veranstaltet. Die Kontakte zu den Heimatvertriebenen führte dazu, dass ihr die Kirchspielvertretung für das Kirchspiel Heinrichswalde/Elchniederung übertragen wurde. Vor vier Jahren wechselte sie dann in den Vorstand der Kreisgemeinschaft Elchniederung, wo sie auch Stellvertreterin des Kreisvertreters ist. Waltraut Moser-Schrader ist eine engagierte Ostpreußin und setzt sich sehr für ihre Landsleute aus der Elchniederung ein. Die Elchniederunger bedanken sich für ihren Einsatz in der Heimatkreisgemeinschaft und wünschen ihr und ihrem Ehemann Horst weiterhin Gesundheit und eine gemeinsame glückliche Zeit.
H.-D. Sudau

Die Flucht aus Ostpreußen
Waltraut verlebte zusammen mit ihren jüngeren Geschwistern eine glückliche Kindheit in Lindental, Kreis Elchniederung in Ostpreußen. Ihr Vater bewirtschaftete einen Gutsbetrieb mit kleiner Gaststätte und war Bürgermeister von Lindental.
Es war Krieg. Die Schwester von Waltraut entschloss sich, zu ihrer Cousine nach Berlin zu fahren, solange das noch möglich war. Waltraut musste einmal in der Woche in die Kreisstadt Heinrichswalde fahren, um auf dem Landratsamt zu arbeiten. So konnte sie dem Arbeitsdienst entgehen. Als die Sowjetischen Truppen immer näher kamen, wurde die Behörde von Heinrichswalde nach Heiligenbeil verlegt.
Der Vater war im Volkssturm, als die Situation immer prekärer wurde. Er setzte sich ab, um die Flucht vorbereiten zu können. Am 21. Oktober 1944 musste die Familie mit allen Angestellten Lindental verlassen.
Sie blieben vorerst in Heiligenbeil, bis sie erfuhren, dass Ostpreußen auf dem Landweg von Sowjetischen Truppen umzingelt war. Für eine Flucht blieb nur noch der Weg zur Ostsee. Der Danziger Bucht ist die Frische Nehrung vorgelagert. Das ist eine langgestreckte schmale Landzunge von ca. 60 km Länge und 2 km Breite zwischen Kahlberg und Pillau. Um zum offenen Wasser zu gelangen, musste das Frische Haff überquert werden, das Wasser zwischen Festland und frischer Nehrung. Für die Flüchtlinge nur möglich bei zugefrorenem Haff. So wurde Waltraut vorausgeschickt, um die Lage zu erkunden. Als sie die Familie nachholen wollte, denn ganze Flüchtlingsströme waren bereits auf dem tragbaren Eis, war der Weg zurück nicht mehr möglich. Sie suchte unter den Flüchtenden vergeblich nach ihrer Familie. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als allein weiter zu gehen. So schlug sie sich nach Gotenhafen durch. Sie stand inmitten einer riesigen Menschenmenge am Pier von Gotenhafen an der Ostsee. Vor ihr lag das gewaltige Schiff, die „Wilhelm Gustloff“.
Die Menschen waren auf der Flucht vor der immer näherkommenden Front. Ihre große Hoffnung war das ehemalige Kreuzfahrtschiff der NSDAP, das Hitler in Friedenszeiten für seine Propagandafahrten „Kraft durch Freude“ nutzte. Im Krieg war es zuerst Lazarettschiff der Kriegsmarine und seit November 1940 Wohnschiff der U-Boot-Lehrdivision in Gotenhafen.
Es war Ende Januar 1945 bei Temperaturen von etwa minus 20 Grad. 2,5 Millionen Zivilisten und Soldaten versuchten, über die Ostsee ins westliche Deutschland zu flüchten. Alles wollte auf die Wilhelm Gustloff. Darunter auch Waltraut, mit ihren 18 Jahren ganz auf sich allein gestellt.
Sie beobachtete, wie viele Verwundete auf die Gustloff transportiert wurden, und die große Zahl der Flüchtlinge verzweifelt versuchte, auf das Schiff zu kommen. Aber Waltrauts Hoffnungen wurden jäh zerschlagen, als durch das Megaphon die Durchsage kam, dass nur noch Frauen mit Kindern mitgenommen wurden. So enttäuscht Waltraut damals auch war, das rettete ihr das Leben. Die Wilhelm Gustloff fuhr am 30. Januar 1945 in der Mittagszeit aus und wurde bereits nach 21.00 Uhr von sowjetischen Torpedos getroffen. Es waren ungefähr 10.200 Menschen auf dem Schiff, 9.000 ertranken, retten konnten sich nur rund 1.200.

Waltraut musste weiter. Der Flüchtlingsstrom schleppte sich durch die Kälte, die immer wieder angreifenden Kampfbomber aus der Luft lösten Todesängste aus. So kam Waltraut auf der Halbinsel Hela in der Danziger Bucht an. Es waren 4 Schiffe auf Reede, die Cap Arkona, die Vega und die Swakopmund, die sie mit an Bord nahm. An den Namen des 4. Schiffes kann sie sich nicht erinnern. Alle vier Schiffe wurden von den Booten der Kriegsmarine geleitet, auf deren Geleitschutz davor die Gustloff nicht warten wollte. Die vier Schiffe kamen unbeschadet in Lübeck an, wo die Passagiere ausstiegen. Der Kapitän wusste, dass Waltraut ihre Angehörigen verloren hatte und machte ihr das Angebot, sie mit dem Auto nach Hamburg mitzunehmen. Dort gab es eine Suchdienstzentrale, bei der sie versuchen konnte, etwas über ihre Familie zu erfahren. Sie hatte allerdings dort keinen Erfolg.
Da Waltraut, die im April 19 Jahre alt geworden war, nicht wusste, wo sie hinsollte, bot ihr der Kapitän an, vorläufig auf dem Schiff zu bleiben und kleine Arbeiten wie Listen schreiben usw. zu erledigen. Die Schiffe mussten den Hafen von Lübeck wieder verlassen und fuhren zurück bis zur dänischen Insel Bornholm, durften aber nicht anlegen. So kehrten sie wieder um und warfen Anker vor der Insel Fehmarn. Die Besatzung wurde an Land bei Bauern untergebracht.
Vom Kapitän hatte Waltraut die Erlaubnis erhalten, sich aus den großen Beständen des Schiffes Bettwäsche, Handtücher usw. rauszusuchen. Damit sie wenigstens etwas hätte, wenn sie an Land wäre. Um die Wäsche zu holen, auch Lebensmittel und sonstiges für die Mannschaft, fuhr sie mit 15 Besatzungsmitgliedern vom Fehmarner Hafen Staberhuk mit der Barkasse auf die Swakopmund, die ca. 3 km vor Fehmarn lag. Die anderen drei Schiffe befanden sich etwa in 1 km Entfernung. Es war der 3. Mai 1945. Waltraut hatte ihren Seesack prall gefüllt und stand auf Deck, als sie plötzlich infolge einer großen Detonation mit voller Wucht ins Wasser geschleudert wurde. Sie weiß bis heute noch nicht, wie das geschehen konnte. Alle vier Schiffe wurden von britischen Jagdbombern getroffen. Die Vega brannte, die Cap Arkona ging zusammen mit 6.400 KZ-Häftlingen unter, die Swakopmund wurde nur seitlich getroffen und schwer beschädigt. So fand sich Waltraut im Wasser wieder, sie konnte nicht schwimmen, trug aber eine Schwimmweste. Irgendwie gelang es ihr, sich auf eine im Wasser treibende Tür zu legen und mit den anderen Schiffbrüchigen die rettende Küste zu erreichen. Ein Mann aus der Besatzung der Swakcopmund kam ums Leben.
Das Schiff wurde 1950 abgewrackt.
Waltraut, die wieder nur das hatte, was sie am Leibe trug, wurde nach einer Nacht auf Fehmarn von den Briten zum Gefangenlager nach Pinneberg transportiert. Am 8. Mai 1945 wurde die Kapitulation unterschrieben, der Krieg war beendet. Der Norden Deutschlands wurde von den Briten besetzt. Nach diversen Verhören kam Waltraut zu einer Bauernfamilie bei Pinneberg, die sie Schwerstarbeit tun ließ. Sie blieb nur ein paar Tage und ging dann zur Stadtverwaltung nach Itzehoe, um sich für den Suchdienst registrieren zu lassen und eventuell etwas von ihren Angehörigen zu erfahren. Der dortige Stadtinspektor machte Waltraut das Angebot, in seine Familie zu kommen. Er hatte 5 Kinder, die sie versorgen und im Haushalt mithelfen sollte. Sie blieb ca. 2 Jahre dort, die Kinder waren ihr ans Herz gewachsen, doch die Atmosphäre in diesem Haus war sehr eisig.
Vor ihrer Flucht hatte der Vater allen eingeschärft, sich die Adresse der Tante in Baden-Württemberg zu merken, im Fall sie getrennt würden. Nun lag das Allgäu damals im französischen Sektor, Post konnte nicht dorthin befördert werden.
In Itzehoe traf Waltraut zufällig einen Nachbarn aus der Heimat. Bei dem rührenden Wiedersehen vergaßen beide die Zeit, sie wurden nach der Sperrstunde zur englischen Kommandantur gebracht. Ein weißer Offizier, der Verständnis für die Situation hatte, machte Waltraut sogar den Vorschlag, bei ihnen zu putzen, zu waschen und für Ordnung zu sorgen. Aus Angst vor den anderen Engländern, die an diesem Abend Dienst hatten – alles große farbige Hünen – ging sie nicht darauf ein. Sie traf dann in Itzehoe eine junge Frau aus dem Rheinland, die zurückwollte. Sie konnte Waltraut überreden, mit ihr zu kommen. Kein leichtes Unterfangen, da das Rheinland im amerikanischen Sektor lag. Ein katholischer Priester gab den beiden jungen Frauen Tipps, wie sie durch die Kontrollen gelangen konnten.
So durfte Waltraut ab Sommer 1947 in der Familie der Freundin wohnen und fand Arbeit in einer Seidenfabrik in Krefeld. Es war eine angenehme Zeit, vom ständigen Hunger abgesehen. Sie lernte in einem Kino einen Berliner kennen, der zurück nach Berlin wollte. Weil ihre Schuhe den Marsch nicht ausgehalten hätten, gab Waltraut ihm einen Brief an die in Berlin-Adlershof wohnende Cousine mit, zu der vor der Flucht ihre Schwester gefahren war. Der Berliner gab tatsächlich den Brief bei der Cousine ab. Das war am Vormittag. Am gleichen Nachmittag kamen ihre Eltern ebenfalls zu der Cousine, um ihre Tochter, also Waltrauts Schwester, wieder zu sehen.
Kurze Zeit später erhielt Waltraut eine Postkarte von ihren Eltern, adressiert an die Seidenfabrik. Sie schrieben, dass sie vorhaben, ins Allgäu zu gehen und dort auf sie warten wollten. Damit war der Kontakt endlich nach fast drei Jahren Ungewissheit hergestellt, und die traurige Odyssee fand im Dezember 1947 ihr glückliches Ende.

Die Kreisgemeinschaft Elchniederung e.V. trauert um

Waltraut Moser-Schrader

geb. 10. 04. 1926 in Sandfluss/Lindental-Ostpreußen;
gest. 03. 03. 2017 in Dübendorf/Schweiz.

Trägerin des silbernen Ehrenzeichens der Landsmannschaft Ostpreußen

Waltraut Moser-Schrader verstarb nach kurzer schwerer Krankheit in ihrem jetzigen Schweizer Wohnort Dübendorf in einem Pflegeheim. Sie hat viele Jahre in unserer Kreisgemeinschaft Elchniederung zuerst als Kirchspiel-Vertreterin für ihr Kirchspiel Heinrichswalde und später als stellv. Vorsitzende engagiert mitgearbeitet. Ihr Sachwissen über Ostpreußen, besonders zu Heinrichswalde, ist schwer zu ersetzen. Wir haben Waltraut besonders wegen ihrer gradlinigen, bodenständigen und hilfsbereiten Art geschätzt. Durch ihr freundliches Wesen erwarb sie sich innerhalb unserer Kreisgemeinschaft ein hohes Maß an Anerkennung.
Die Kreisgemeinschaft wird Waltraut Moser-Schrader ein ehrendes Andenken bewahren.

Kreisgemeinschaft Elchniederung
Im Namen des Vorstandes, der Delegierten und aller ehrenamtlicher Mitarbeiter

Manfred Romeike