Weidenau

Die zum Kirchspiel gehörenden Gemeinden Buttenhagen, Grieteinen, Motzfelde und Neuschleuse waren ihrer Art nach Streudörfer. Die Mehrzahl der Gehöfte lag also ursprünglich innerhalb ihrer Ländereien. Im Norden begrenzte die „Krumme Gilge“ und im Süden das Flüsschen Kurwe diese vier Ortschaften. Im Westen waren Bolzhagen und Rokitten die Nachbarn, im Osten dagegen Urbanshof und das Kirchdorf Weidenau. In Nord-Süd-Richtung durchlief die Chaussee von der Gilgefähre in Neuschleuse alle vier Gemeinden in Richtung Heinrichswalde, dem Verwaltungsort des Kreises Elchniederung.

Mit Wirkung vom 16.07.1938 trat eine Namensänderung der Ortschaften in Kraft. So wurde damals Motzwethen zu Motzfelde, Jedwilleiten zu Neuschleuse, Buttkischken zu Buttenhagen und Grietischken zu Grieteinen. Die alten Ortsnamen erscheinen schon auf einem Stich aus dem Jahre 1796, was also nachweist, daß die Grundbesiedlung damals schon abgeschlossen war.

Durch Eindeichungen und Entwässerungsmaßnahmen seit dem 17. Jahrhundert war ein zwar tiefliegender, aber ertragreicher Polderboden für die Landwirtschaft gewonnen worden, die hier wie im ganzen Kreisgebiet die Menschen und das Land prägte.
Nach der letzten Volkszählung 1939 hatten Motzfelde 150, Neuschleuse 164, Buttenhagen 82 und Grieteinen 142 Einwohner. Der letzte Bürgermeister von Motzfelde war der Bauer Artur Wedler aus Motzfelde, der damalige Standesbeamte für den Amtsbezirk Neuschleuse der Bauer Gustav Berg, Neuschleuse.


In Motzfelde, neben dem Hof von Willy Reimer, war der Friedhof für Motzfelde, Neuschleuse und wohl auch für Teile von Schanzenkrug auf einer künstlichen Erdaufschüttung angelegt. Ob Buttenhagen und Grieteinen dazugehörten, kann nicht gesagt werden, was auch auf die jeweiligen Bürgermeister / Ortsvorsteher zutrifft.
Die Menschen hier hatten ihre Vorfahren in vielen Ländern. Mit den ganz früh hier ansässigen Prußen, Kuren und Litauern mischten sich Deutsche aus dem Reich, Mennoniten aus Holland, Hugenotten aus Frankreich, Salzburger und Schweizer, allesamt Menschen, die wegen religiöser und politischer Verfolgung eine neue Heimat suchten. Der preußische Staat bot sie ihnen auch hier in der Niederung, denn dieses Land war durch die Pest und Krieg vor rund 300 Jahren entvölkert worden. Die Familiennamen der Leute lassen oft noch auf ihr Herkunftsland schließen. Nur die prußischen Namen sind verschwunden.
Als Umgangssprache war das etwas breite Küstenplattdeutsch neben dem Hochdeutschen üblich. Alte Leute gebrauchten zum Verdruss der Kinder oft noch unter sich ein sog. Grenz-Litauisch.

Für alle vier Gemeinden hatte Motzfelde eine Volksschule, die zuerst zweiklassig, seit den 30er Jahren nur noch einklassig geführt wurde. Die Grieteiner Kinder gingen mehr in das nähere Neukirch oder auch nach Weidenau. Herr Paul Werner war bis zur Flucht der letzte Lehrer in Motzfelde.
Seit 1891 gehörten diese vier Gemeinden zum neu eingeteilten Kirchspiel Weidenau, damals Pokraken, als die neugebaute ev.-luth. Kirche in Weidenau ihrer Bestimmung übergeben wurde. Bis dahin gehörten sie zum Kirchspiel Neukirch. Die Glaubensgemeinschaft der Mennoniten hatte ihre Kirche seit 1831 in dem ehemaligen Gutshaus von Adlig Pokraken, kurz vor Weidenau an der Selse.
Eine Postagentur in Motzfelde betrieb der Kaufmann und Bauer Willy Murrins. Hier am ersten Gilgebogen soll schon seit etwa 150 Jahren eine Poststation bestanden haben.

In Neuschleuse, bei der Gastwirtschaft Wiegratz, war seit langer Zeit schon eine Wagenfähre über die Gilge nach Skören eingerichtet. Schon immer diente sie auch dem Wagenverkehr nach Kuckerneese als einem gern aufgesuchten Marktort. Bis zur Flucht war dieser Fährbetrieb m.W. an Ernst Götting verpachtet. Zu Wiegratz gehörte neben dem Krug auch noch ein Saalbetrieb im gleichen Haus, sowie ein kleiner Gemischtwarenladen. Eine weitere Gastwirtschaft betrieb der Landwirt Rosenfeld in Neuschleuse am westlichen Kanalende. Für etwa 8-10 Jahre bestand in Neuschleuse neben Gastwirt Wiegratz ein Arbeitsdienstlager, später RAD-Lager, das 1935 wieder aufgelöst wurde. Der frühere AD/RAD war im Dammbau und in der Bodenmelioration eingesetzt.
Die Größe der landwirtschaftlichen Betriebe lag zwischen 8 und 80 ha. Die Hofform der größeren Betriebe war das Gebäudeviereck nach fränkischer Art. Rindviehzucht mit Milcherzeugung, Schweine- und Pferdezucht waren, neben dem notwendigen Ackerbau, die Erwerbssäulen der Bauern. Die Milch lieferte man an die Molkereien Stotzka und Ebnöther, wo sie zu Käse und Butter verarbeitet wurde. In Neukirch bestand auch eine Molkereigenossenschaft, bei der die Bauern Mitglieder waren. Ein Teil der Kleinbauern und Eigenkätner betrieb auf der Gilge nebenbei noch die gepachtete Flussfischerei. Weiter diente das Binden von Faschinen zur DWeidenau mit Gasthaus, Schule, Kirche und Postammsicherung und das Flechten von Körben diesen Einwohnern als Existenzsicherung.
Fuhrwerke, Schlitten und das Fahrrad waren die Verkehrsmittel zwischen den Orten. Gemeindelandwege und die „Grant“-Chausseen bildeten die Ortsverbindungen. Der Bahnhof Brittanien war von Motzfelde 9 km, von Grieteinen immerhin noch 4 km entfernt. Von jeher war natürlich die Gilge ein sehr wichtiger Handelsweg zwischen Königsberg, Tilsit und weiter nach Russland hinein gewesen. Sie war aber vom Haff nur bis Sköpen ausgebaut. So bildete der doppelte Gilgebogen, hier bei uns die „Krumme Gilge“ genannt, für lange Schleppzüge ein besonderes Erschwernis. Da mussten immer wieder Versandungen ausgebaggert werden. Deshalb begannen vor dem 1. Krieg die Planungen für einen Stichkanal mit Schleuse im Bereich Neuschleuse/Motzfelde. Die Gilge selbst konnte somit für die Fischerei und die Segelschifffahrt erhalten bleiben. In den Jahren von 1928 bis 1932 wurde dann der Kanal in einer Länge von fast 3000 m und einer Breite von 12 m gebaut. In die Westhälfte kam die Schleppzugschleuse mit 225 m Länge, und beim Westtor wurde eine einteilige Hubbrücke gebaut. Diese lag in der Flucht der Chaussee. Brücke und Schleusentore wurden elektro-hydraulisch bewegt. In der Schleusenkammer war gleichzeitig ein Zustieg auf Passagierdampfer der Linie Tilsit-Labiau-Königsberg vorgesehen. Der Schleusenmeister Rogat versah hier bis zur Flucht seinen Dienst. Der gesamte Bau galt damals als der modernste seiner Art in Ostpreußen. Die Baukosten betrugen 10,5 Mio. Mark. Davon trug die Zellstoffabrik in Tilsit 3,0 Mio. Mark.
Die Bewohner des jetzt abgetrennten M-Bogens mussten immer über die Brücke, was gerade für die Bauern teilweise umständlich war. Das war ja aber alles vorher schon ausgehandelt und besiegelt.
Mitte Oktober 1944 kam auch hier der schon lange erwartete Räumungsbefehl für die Bewohner. Mit Pferd und Wagen ging es nun westwärts, in die Richtung, aus der vor 700 Jahren die ersten Siedler hierher kamen. Zurück blieben Häuser, Höfe, Heimat und die Früchte jahrelanger Arbeit und Mühen, egal wie groß das einzelne Anwesen war. Auch die Qualen der Tiere sollen erwähnt werden. Viele unserer Dorfbewohner konnten der Kriegsfurie nicht mehr entkommen und mussten jahrelange Marter erleiden, bis sie dann endlich nach Westen „ausgereist“ wurden und dabei auch den allerletzten Rest ihrer Habe verloren.
Über 50 Jahre nach Kriegsende sieht es hier in Motzfelde, Neuschleuse, Buttenhagen und Grieteinen so aus, als wolle und werde die Natur sich das zurückholen, was der Mensch ihr in Jahrhunderten abgerungen hat. Das Grün des Sommers und das Weiß des Winters werden alles mit dem Mantel des Vergessens zudecken, bis vielleicht wieder einmal Menschen das Land besiedeln.
Siegfried Dietrich

Entnommen aus „ Die Kirchengemeinden Neukirch und Weidenau – Kreis Elchniederung“
herausgegeben von der Kreisgemeinschaft Elchniederung e.V.

Orte des Kirchspiels Weidenau (Prokaken)

Ortsname ab 1938

Ortsname bis 1938

Einwohner 1939

Russ. Name ab 1945

 

Buttenhagen

Buttkischken

82

ohne

 

Grieteinen

Grietischken

142

Winogradowka

Виноградовка

Motzfelde

Motzwethen

150

Ostrownoe 

 Островное

Neuschleuse

 Jedwilleiten

164

ohne

 

Gesamt  4

 

 538

 

 

Es existiert nur noch der Siedlungsplatz Motzfelde.